Mitgefühl und Solidarität in der Pandemie
Seit über einem Jahr beschäftigt uns hier in der Schweiz, aber auch auf der ganzen Welt, die Coronapandemie. Sie beeinflusst unser Leben in fast allen Bereichen und nimmt dabei auch einen grossen Teil der Medienberichterstattung und unserer Aufmerksamkeit in Beschlag. Dies hat zur Folge, dass ein wichtiges Thema immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird: die vielen Millionen von Menschen – Frauen, Männer, Junge und Alte –, die tagtäglich auf der Flucht sind.
Natürlich ist es verständlich, dass wir in so einer Zeit stärker zu uns selbst und zu unseren Familien und Freunden schauen, dass wir uns Sorgen machen um die Kranken in den Altersheimen, um die Bäckerei und um das Restaurant in unserem Dorf. Doch sollten wir dabei das Leid der Menschen, die etwas weiter weg scheinen, vergessen? Nein! Denn die vielen Menschen, die vor Krieg, Vertreibung und Gewalt auf der Flucht sind, haben nun zusätzlich mit dem Coronavirus zu kämpfen. All diese Menschen haben keine Möglichkeiten sich zu testen, sich in Quarantäne zu begeben oder sich bei einer Ansteckung medizinisch adäquat versorgen zu lassen. Ihr Leid hat sich also noch vergrössert.
Wenn uns diese Pandemie etwas gelehrt hat, dann dass sich solch grosse Krisen nicht national bewältigen lassen. Das gilt sowohl für Pandemien wie auch für Flüchtlingskrisen. Ein Virus kennt keine Grenzen. Menschen auf der Flucht sind hingegen durchwegs mit Grenzen konfrontiert. Menschen bleiben aber Menschen ganz unabhängig von ihrer Nationalität, Herkunft oder Ziel.
Die Welt hat gezeigt, zu was sie fähig ist. In internationaler Zusammenarbeit und mit grosszügigen Mitteln konnten innert kürzester Zeit wirksame Impfstoffe entwickelt werden, um das Virus zu bekämpfen. Mit dem Einsatz von viel gewaltigeren Ressourcen wollen Staaten die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abfedern, um das Leid ihrer Bevölkerung zu verringern. Können wir uns daran nicht ein Beispiel nehmen und das Leid von Menschen auf der Flucht angehen? Die dafür nötigen Ressourcen sind im Vergleich ein verschwindend kleiner Bruchteil. Als Voraussetzung dazu braucht es aber vor allem den Willen, das Hin-schauen und besonders das Mitgefühl. Mitgefühl mit den Schwachen, Solidarität und die selbstlose Hilfe, das finden wir als eine Richtschnur unseres Handelns sowohl in der Tora, als auch in der Bibel immer wieder. Deshalb rufen der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Schweizer Landeskirchen sowohl die Politik als auch die Bevölkerung dazu auf, Mitgefühl und Solidarität auch in diesen schwierigen Zeiten für jene aufzubringen, die sich auf der Flucht befinden. Trotz der Sorgen aufgrund der Pandemie sollten wir das ungebrochene Leid der Flüchtlinge auf der Welt nicht vergessen und vor allem nicht ignorieren.